Brief 4

Lieber Abdullah,

zuerst möchte ich meiner Freude Ausdruck geben, daß Du an den heiklen Stellen unseres Gesprächs den Dialog nicht einfach abgebrochen hast. Ich schätze das sehr, denn dazu gehören Lauterkeit und Mut. Wir sahen ja schon, daß wenn es um unseren Glauben, unsere Überzeugung, geht, daß eben nicht nur der Kopf, sondern besonders das Herz, unsere Gefühlswelt, angesprochen wird.

Offensichtlich hat Gott auch unsere Emotionen geschaffen. Und er ist es auch, der sie anspricht: „Ihr sollt Gott, euren Herrn, von ganzem Herzen lieben, mit ganzer Hingabe, mit all eurer Kraft“ (5.Mose 6:5). Doch im geistlichen Gespräch dürfen die Gefühle nicht den Ausschlag geben. Wie ich schon einmal sagte, müssen wir uns bei der Wahrheitsfindung an Tatsachen orientieren. Das mag irgendwie klinisch kalt klingen. Auch kann dabei unser Empfinden leicht verletzt werden. Darum ist es viel angenehmer, sich über Themen zu unterhalten, bei denen wir gleicher Meinung sind. Doch dies wäre eigentlich lieblos, wenn man die Konsequenzen bedenkt. Liebe will immer das Beste für den anderen, und das ist, zweifelsohne, ein Leben – im besonderen in der Ewigkeit – mit und bei Gott. Und das geht nicht ohne die Wahrheit über ihn.

Scheinbar hast Du beim Studium meines Briefes ‚zwischen den Zeilen’ gelesen und hast einige meiner Punkte als Angriff auf den Koran eingeordnet. Das war zwar nicht, was ich schrieb, doch es ist einfach unumgänglich bei einer Diskussion dieser Art, den Tatbestand nicht zu verwischen. Doch nun zu Deinem Brief. Wohl als Resonanz auf meine Argumentation für die Glaubwürdigkeit der Bibel, bringst Du nun Dein Gegenargument, oder besser Deine Begründing dafür, daß der Koran nach Deiner Meinung Gottes Offenbarung sein muß. Du behauptest, der Koran in seiner heutigen Form sei bis in die letzte Einzelheit mit dem Urkoran identisch. Das wird so natürlich von allen Muslimen angenommen.

Und da sitze ich nun und überlege, ob ich aus Liebe einfach darüber hinweggehen soll, um damit unsere Harmonie zu erhalten, oder ob ich, ebenfalls aus Liebe, Deinem rührenden, aber doch recht subjektiven Glauben, auch die objektiven Tatsachen zu bedenken geben soll. Obwohl es der Weg des größeren Widerstandes ist, möchte ich doch den zweiten Weg wählen. Und Dich herzlich bitten, dokumentierte Tatsachen nicht als lieblosen Angriff zu werten.

Wenn ich Dich recht verstehe, sind es drei Gründe, die Dich von dem göttlichen Ursprung des Koran überzeugen:

  1. Die literarische Qualität des Koran verbürgt, daß menschlicher Geist nicht in der Lage gewesen sein kann, ihn zu verfassen.
  2. Es gibt viele Muslime, die den ganzen Koran fehlerfrei aus dem Gedächtnis zitieren können.
  3. Der Text des Koran wurde, wie er aus dem Munde des Propheten kam, bis ins kleinste Detail bis heute vor Verfälschungen oder Änderungen bewahrt.

Niemand, der arabisch spricht, und dazu gehöre ich leider nicht, wird abstreiten wollen, daß zumindest die mekkanischen Suren von großer poetischer Schönheit sind. Doch müssen wir davon ausgehen, daß die beste Leistung auf einem Gebiet, dadurch noch nicht göttlicher Natur sein muss. Gottes Schöpfung übersteigt menschliche Fähigkeiten. Niemand wird die mathematischen Berechnungen Einsteins, die Sonde, die auf dem Mars gelandet wurde, oder die Erfindung des Computers, eben weil diese die bisher größten Erfindungen oder Entdeckungen sind, als göttliches Tun werten. Wir müssen natürlich zugeben, daß diese, wie alles andere in der Welt, nie ohne Gottes Zutun zustandegekommen wären. Ein Indiz für göttliche Schöpfung muß außerhalb menschlichen Vermögens gesucht werden. Ich werde darauf noch zu sprechen kommen.

Wenn wir nun Form und Inhalt des Koran beurteilen wollen, ist es unumgänglich, ihn mit ähnlichen Schriften, beispielsweise dem Neuen Testament, zu vergleichen. Ich weiß nun nicht, ob die Qualität eines literarischen Stils hier bedeutsam ist, aber die finden wir in beiden Büchern. In der gesamten Bibel finden wir eine chronologische Ordnung, d.h. eine klare geschichtliche Folge. Im Koran gibt es das aber nicht. Auch eine thematische Ordnung fehlt dort. Ich hoffe, daß Du Dir die Möglichkeit nicht versagen wirst, Dir persönlich ein Urteil zu bilden. Ich empfehle Dir, doch einmal die Reden von Jesus zu lesen, die der Koran nicht wiedergibt, die aber im Evangelium zu finden sind. Dazu mußt Du aber die Bereitschaft haben, echt unvoreingenommen zu sein (Übrigens – eine Auswahl der Jesusworte könnte ich Dir zuschicken. Sie sind in einem Heft mit dem Namen ‚Die Botschaft von Nabi Isa’ abgedruckt. Laß mich nur wissen). Um den Vergleich weiterzuführen, muß ich noch einmal darauf hinweisen, daß die Bibel sehr viele völlig unvorhersehbare prophetische Aussagen macht, die in späteren Zeiten in allen Einzelheiten erfüllt wurden. Welches menschliche Vermögen hätte das bewirken können? Mehr möchte ich hier dazu nicht sagen.

Eine ganz andere Sache ist es, den Koran aus dem Gedächtnis zu zitieren. Dazu gehören Eifer, Fleiß und genügend Zeit – besser noch, ein fotografisches Gedächtnis. Ein Bekannter von mir hat einmal das Neue Testament auswendig gelernt, und das ist um ein Fünftel länger, als der Koran. Ich will damit allerdings nicht sagen, daß dies nur möglich sein kann, weil es Gottes Wort ist. Ich kannte auch jemand, der ganze Bücher, die er gelesen hatte, auswendig zitieren konnte. Kurz, ich denke, daß wir hier kein Argument dafür haben, daß ein Buch vom Himmel gekommen ist.

Der dritte Punkt, der davon ausgeht, daß der Koran seit seiner Urfassung keiner Änderungen unterlag, ist nun leider wieder ein Reizthema. In einem Brief, wie diesem, kann man natürlich nur andeutungsweise darauf eingehen. Für weitere Informationen muß man die alten Bücher konsultieren. In den Hadithen (Traditionen) findet sich viel Material dazu. Da heißt es beispielsweise:

„Dieser Koran wurde in sieben Formen offenbart, zitiert also, was am leichtesten ist!“

Dies sagte Muhammad (al-Bukhari, Engl. Version Band VI, Seite 482, Kap. LXI(5), Vers 514). Man erklärt nun dazu, daß dies eigentlich nur unterschiedliche Dialekte meint. Es läßt sich schwerlich annehmen, daß der Koran in verschiedenen Dialekten offenbart wurde. In München und Hamburg werden deutlich sehr unterschiedliche Dialekte gesprochen, doch die Zeitungen, welche dort gelesen und die Briefe, die dort geschrieben werden, spiegeln das nicht wider. Dialekte werden eben gesprochen, nicht geschrieben. Das ist auch deutlich hörbar im Arabischen. Da gibt es klare Unterschiede zwischen dem, was im Irak, in Ägypten oder Marokko gesprochen wird. Die Schrift aber ist überall gleich.

Eine vielfach bestätigte Tradition sagt deutlich aus, daß der erstgeschriebene Koran vom Khalifen Osman revidiert worden ist. Es ist geschichtlich bezeugt, daß zur Zeit dieses dritten Khalifen eine Reihe von nicht übereinstimmenden Korankopien im Umlauf waren, die von unterschiedlichen Schreibern stammten, welche alle versicherten, die Texte vom Munde das Propheten selbst gelernt zu haben. Im wesentlichen handelt es sich um Koranniederschriften von Said ibn Thabit (Medina), Abdullah ibn Masud (Kufa), Ubay ibn Ka’b (Syrien) und Abu Musa (Basra). Wir wissen von 15 sogenannten größeren und 13 kleineren Fassungen des Koran zu dieser Zeit (Masahif von Ibn abi Dawud).

Als sich nun die Gläubigen stritten, welches die richtige Fassung sei, befahl Osman alle vorhandenen Koranmanuskripte herbei zu bringen. Dann befahl er eine Revision davon anzufertigen, die heute als der Osmanische Text bekannt ist. Danach wurden alle vorhergehenden Niederschriften verbrannt – inklusive der Urschrift, die durch Said verfaßt worden und Eigentum von Muhammad’s Witwe Hafsa war (siehe al Bukhari, Engl. Fassung, Band VI, Seiten 477-479, Kap. LXI (3), Vs. 509 und Masahif von Ibn Abi Dawud, Seiten 24-25).

Wir müssen uns natürlich fragen, warum dies geschah. Was wollte man durch diese Vernichtung der Manuskripte verbergen? Mit Sicherheit die Unterschiedlichkeit. Was wissen wir nun überhaupt von diesen Texten? Es muß gesagt werden, daß diese Handlung eine jahrelange theologische Diskussion auslöste, und daß diese weitgehend schriftlich festgehalten wurde. Wir wissen also, worum es ging. Das waren keine umwerfenden oder sich total widersprechenden Texte, aber sie enthielten z.T. doch erhebliche Abweichungen voneinander. In seinem Masahif hielt Ibn Abu Dawud fest, was in diesen Diskussionen zutage kam. Es sind etliche hundert Seiten gefüllt mit von einander abweichenden Texten. Und das war erst 16 Jahre nach dem Tode Muhammads geschehen. Weitere Änderungen kamen später dazu. Das ist bei Schriften dieses Alters nichts Unübliches. Eine Textkritik könnte da sicher allerhand Klarheiten schaffen, doch das verweigern die islamischen Gelehrten vehement, weil sie nicht zugeben möchten, was dem Koran widerfahren ist. Das entwertet nun auch das dritte Argument.

Aus meiner Sicht gibt es tatsächlich keinen besseren Beleg für die göttliche Herkunft einer Offenbarung, als das wiederholt erwähnte prophetische Wort, das, wenn es erfüllt ist, eigentlich keinen anderen Schluß zuläßt, als daß es das Werk Gottes ist.

Wir müssen immer wieder zu unserem gläubigen Herzen auch den kritischen Verstand gesellen. Nicht kritisch Gott gegenüber! Aber mißtrauisch gegenüber dem, was Menschen sagen.

Eigentlich müßte ich nun wieder um Entschuldigung bitten, daß ich ein so kontroverses Thema angefaßt habe. Aber der Anstoß dazu kam von Dir. Darum habe ich mich auch bemüht, Dir in diesem Punkt eine klare und nachprüfbare Antwort zu geben. Alle Quellen über dieses Thema sind natürlich islamisch, denn es gibt keine westlichen. Übrigens, Wahrheitssuche hat auch eine biblische Grundlage, denn dort heißt es, daß „Gott will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Tim. 2:4).

Und damit will ich diesen Brief abschließen mit freundlichen Grüßen!

 

Dein

Theophilus