Verkündigung

Sie persönlich sind Gottes Werkzeug, durch das er mit der nichtchristlichen Welt in Kontakt tritt. Kontakt aufzunehmen, ist bekanntlich schwer. Adam versteckte sich vor Gott im Garten Eden, und seitdem hat der Mensch dieses Versteckspiel betrieben. Einer will Christus in den Christen sehen, bevor er glaubt; ein anderer sagt, wenn er reich und unabhängig sei, werde er sich entscheiden; ein Dritter sagt, er werde all sein Hab und Gut verlieren, wenn er Christus anerkenne; ein Vierter sagt, die Wissenschaft mache das Glauben unmöglich; ein Fünfter sagt, wenn er nur schreiben und lesen könne, werde er die Wahrheit herausfinden. Der Mensch will sich hinter etwas verstecken, wie Adam es tat. Um Ihre Botschaft zu verbreiten, müssen Sie erst den Menschen nachgehen. In Ihrem Eifer, es zu tun, kommen Sie vielleicht in große Versuchung, die Botschaft den Menschen anzupassen.

 

Ein Grund für den unklaren Gehalt der Verkündigung der Kirche heute ist, dass man eine Unterscheidung aus dem Auge verloren hat, die im Neuen Testament sehr augenfällig ist. Die Verkündigung des Evangeliums ist dort niemals mit Lehre oder Ermahnung vermischt. Wir haben uns angewöhnt, die Gedanken, die der Geistliche seiner Gemeinde vermittelt, als "Verkündigung" anzusehen. Aber das entspricht keineswegs dem Neuen Testament.

 

Es ist bei der Arbeit unter Muslimen sehr wichtig, sich klar zu machen, dass alle Schriften, die sich im Neuen Testament hinter der Apostelgeschichte finden, für Christen und an Christen geschrieben wurden. Sie setzen voraus, dass die Leser das Evangelium gehört und angenommen haben. Diese Schriften sind ein Weiterbauen auf einem bereits gelegten Fundament.

 

Im Neuen Testament erkennen wir folgenden Tatbestand: Evangelisieren, predigen, verkünden geschah gewöhnlich mündlich. Wörtliche Aufzeichnungen dieser Verkündigungen gab es nicht. Die Briefe jedoch sind Lehre, Beratung und Ermahnung für die, die die mündliche Verkündigung bereits gehört und angenommen haben.

 

Für die Zwecke dieses Kapitels brauchen wir deshalb zwischen den verschiedenen Sprechern keinen Unterschied zu machen, doch sollten wir versuchen, die Tendenz von dem, was die Apostel wirklich in der nicht-christlichen Welt verkündeten, herauszufinden. Wahrscheinlich ist keine der Reden in der Apostelgeschichte wörtlich - sie müssten sonst länger sein - aber auch als Zusammenfassung geben sie eine sehr klare Vorstellung davon, wie die frühe Kirche die Verkündigung auffasste.

 

Wenn man die vier Reden des Petrus (im 2., 3., 4. und 10. Kapitel) mit den zwei Reden des Paulus (im 13. und 17. Kapitel) vergleicht, begreift man den Inhalt der Verkündigung der frühen Kirche, die jüdischen wie heidnischen Hörern predigte. Man findet bestätigt, was Paulus sagt (1 Kor 3), dass nämlich der grundlegende Inhalt der Verkündigung derselbe ist, gleichgültig, ob Petrus oder Paulus oder ein anderer das Wort führen.

 

Zuerst muss klargestellt werden, dass Jesus von Nazareth, der Mann, der umherging, Gutes zu tun und allen vom Teufel Bedrängten zu helfen, der verheißene Messias des Alten Testaments ist. Paulus ging nach seiner Gewohnheit in die Synagoge und legte aus der Schrift aus, dass "dieser Jesus, von dem ich Euch predige, der Messias ist." (Apg 17, 2.3). Die Apostel sagten kaum etwas über die Tätigkeit unseres Herrn. Doch die Tatsache, dass die Apostel Jesus von Nazareth als den verheißenen Messias predigten, zeigt, dass sie in gewisser Hinsicht (wahrscheinlich wie es im Matthäus-Evangelium gemacht wurde) Jesu Lehre und Amt darstellen mussten. Sie hätten sich unglaubwürdig gemacht, wenn sie gesagt hätten: Ein Mann mit Namen Jesus war der Messias, ohne zu zeigen, wie sie zu diesem Schluss gekommen sind.

 

Der Schwerpunkt in der Verkündigung liegt jedoch auf dem Leiden, dem Tod und der Auferstehung Jesu. Wenn Paulus in der Synagoge spricht (Apostelgeschichte 13), dreht sich seine Rede um diesen Punkt; wenn er mit den griechischen Philosophen diskutiert (Kap. 17) ist es genauso; und wenn er zum Gouverneur zu seiner eigenen Verteidigung spricht (Kap. 22), stehen ebenfalls der Tod und die Auferstehung im Vordergrund. Ebenso ist es, wenn er die korinthischen Christen daran erinnert, wie seine Verkündigung am Anfang, als sie noch Ungläubige waren, begonnen hatte (1 Kor 15,3f). Die anderen Apostel sind in diesem Punkt genauso eindeutig wie Paulus.

 

Durch die Auferstehung wurde Jesus, der Christus ist, erhöht, verklärt und sitzt nun zur Rechten des Vaters im Himmel. Er ist Herr über alles, sagt Petrus zu den Zuhörern im Haus des Kornelius. Ein anderer Aspekt dieser Verklärung ist, dass er seiner Kirche auf Erden den Heiligen Geist sendet. Weil schließlich Jesus der Messias ist, der regiert, bis ihm alle Dinge unterstehen, wird er in Macht und Herrlichkeit wiederkommen, um das Königreich Gottes zu errichten.

 

Das ist die Verkündigung der frühen Kirche, das ist ihre Botschaft, die Offenbarung, zu deren Zeugen Gott die Apostel erwählt hat. Obwohl jeder Satz dieser Verkündigung ausschließlich aus den Reden in der Apostelgeschichte genommen ist, können diese Sätze an vielen Stellen der Apostelbriefe gefunden werden. Dort stehen diese Sätze aber nicht als Verkündigung, sondern als vorausgesetzte Tatsachen, auf denen man weiterbauen kann, als ein bereits angenommener Glaubensinhalt, der nun in einer bestimmten Situation weiterer Klärung bedarf oder dessen Folgerung den Gläubigen erklärt werden muss. Es ist ein Unterschied zwischen dem grundlegenden Gehalt des Evangeliums und der Lehre und den Ermahnungen, die davon abgeleitet werden. Wenn die Kirche in der Gnade wachsen und ihren Glauben festigen will, ist dieses Weiterbauen eine Lebensnotwendigkeit. Aber die Grundlage, die "Frohbotschaft", die Verkündigung, muss erst gehört, angenommen und geglaubt werden. Wie Paulus sagt, kann kein anderer Grund gelegt werden als der, der so gelegt wurde. Wenn sich ein Muslim zu einem anderen Grund als Christus bekennt, mag dieser Grund noch so gut sein, hat er nicht den Christus des Neuen Testamentes angenommen. Deshalb kann nicht genug Nachdruck auf die Notwendigkeit gelegt werden, dass der Verkünder genau weiß, welche Botschaft er zu verkünden hat.

 

Zu dieser Botschaft gehören vier Punkte.

 

Zuerst die Tatsachen. In der Geschichte geschah etwas ganz Bestimmtes: Jesus Christus wurde geboren, wirkte, litt, wurde begraben, aber er ist auferstanden. Es ist von größter Wichtigkeit für die Apostel, bekannt zu machen, dass hier etwas wirklich geschehen ist. Die Mysterienreligionen jener Zeit waren von Symbolen angefüllt, von denen man glaubte, dass sie den Menschen zu einer reichen geistlichen Erfahrung verhalfen, aber niemandem würde der Gedanke kommen, irgendeinen Mythos als historisch zu betrachten. Geschichte war nicht notwendig: Die Erfahrung der Spiritualität lag oberhalb der Geschichte. - Nicht so im Christentum. Hier ist die Geschichtlichkeit überaus wichtig, denn Zeit und Ewigkeit treffen sich in ihr.

 

Kein Apostel gibt sich damit zufrieden, Tatsachen mitzuteilen. Die Tatsachen sind da, aber sie haben eine sehr bestimmte, eine ganz besondere Bedeutung; sie meinen etwas ganz Bestimmtes, und zwar nur dies und nichts anderes: Gott ist zu seinem Volk gekommen; das Gottesreich ist verwirklicht worden; das Urteil und die endgültige Überwindung des Bösen und jeden Übels sind sicher; der Messias wird kommen und in Macht und Herrlichkeit regieren; Gott hat seine endgültige Antwort auf die Sünde und den Tod gegeben.

 

Christen und Nichtchristen haben durch alle Zeiten hindurch versucht, die Bedeutung dieser Tatsachen, wie sie uns von den Aposteln bezeugt worden sind, zu verdrehen oder zu ignorieren. Muslime beispielsweise möchten uns glauben lehren, die Bedeutung von Christus liege darin, dass er ein Prophet mit einem göttlichen Gesetzbuch ist.

 

Die Bedeutung, die die Tatsachen für die Apostel haben, ist nicht das Ergebnis ihres eigenen Denkens, sondern gründet sich ganz auf das Alte Testament. Die Apostel glauben an das "Gesetz und die Propheten". Deshalb muss man im Alten Testament forschen, um die Bedeutung der Tatsachen zu finden, die mit Christus zu tun haben.

 

Kein Muslim wird Ihre Behauptung oder die des Neuen Testamentes annehmen, dass Jesus litt und am Kreuz starb. Diese Behauptung kann er nicht mit seinem Bild von einem rechten Propheten in Einklang bringen. Man muss zu "Gesetz und Propheten" zurückgehen und dem muslimischen Fragesteller zeigen, dass das Bild des leidenden Knechtes, der der Gesalbte - d.h. der Messias genannt wird, ein wesentlicher Teil in Gottes Bund mit den Menschen ist. Man kann um diesen Punkt nicht herumkommen: Die apostolische Deutung des Christusereignisses ist ganz vom Alten Testament her bestimmt. Aber wenn man das Alte Testament ignoriert, wird die Tür für jede Art von "persönlicher Deutung" geöffnet. Wir wissen, dass Christus für unsere Sünden starb (1 Kor 15,3), zu unserer Rechtfertigung auferstanden ist und dass wir erlöst werden, wenn wir der Auferstehung glauben (Röm 10,9). Dem Muslim steht das Recht zu, zu fragen, woher wir wissen, dass diese theologische Deutung richtig ist. Wenn Sie diesen Ihren Nächsten wie sich selbst achten, können Sie nicht sagen, dass Sie es fühlen, und auch nicht, dass Sie es erfahren haben, noch dass es offensichtlich und nachweislich in der Geschichte ist - weder in Ihrer noch in der eines anderen. Sie müssen sagen, dass das ganze Christentum durch den Glauben lebt und von der Voraussetzung ausgeht, dass Gott durch das Gesetz und die Propheten des Alten Testaments sprach und dass er den Weg des Heils verkündete, der von Christus erfüllt wurde und den seine Apostel für uns ausgelegt haben.

 

Vielleicht hilft es zur Klärung, wenn wir zwei Begriffe aus dem Neuen Testament untersuchen. Wir wollen mit Kerygma beginnen. Paulus schreibt in den Briefen an die Korinther (1 Kor 1,21), dass es Gott gefiel, durch "die Torheit des Kerygma" zu retten, die da glauben. Aber das, was wir uns vorstellen, wenn wir an Predigen denken, ist wahrscheinlich etwas ganz anderes als das, was die Korinther gedacht haben, wenn sie von der "Torheit des Predigens" gelesen haben. Im Griechischen wurde ein Prediger "keryx" = Herold genannt. Er war ein Herold mit der Botschaft eines Königs oder einer anderen zivilen oder militärischen Autorität.

 

Wer im Osten kennt nicht den Ausrufer? Er schlägt seine Trommel, um die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zu lenken; und er verkündet dann seine Botschaft, so dass alle sie hören und verstehen können. Wenn er geendet hat, dann geht er von diesem Platz zu einem anderen weiter unten im Basar und wiederholt sie so oft, bis alle sie gehört und verstanden haben. Erst wenn man das Bild vom Mann auf der Kanzel durch das Bild des Ausrufers ersetzt, dann versteht man, was Paulus meint, wenn er von der Torheit des Verkündens spricht. Jeder kann sehen, dass ein Prediger, der seine Gemeinde mahnt und unterrichtet, dies in bester Absicht tut. Darin ist keine Torheit zu finden, und dies hat Paulus auch nie als Torheit bezeichnet.

 

Man kann die Lebenskraft und Theologie jeder Kirche an der Stellung messen, die das Kerygma bei ihr einnimmt.

 

Die Reformatoren sagten, dass die Kirche immer dort gegenwärtig sei, wo gepredigt und die reine und unverfälschte Frohbotschaft gehört wird. Jene moderne Theologie von der Immanenz (Theologie der Immanenz ist kurz definiert die Lehre, dass Ziel und Zweck des Christentums das Wohlergehen der Menschheit hier und heute sei) wird durch ihre eigenen Voraussetzungen genötigt, mit einer vollständigen Verwerfung des Begriffs der Verkündigung zu enden. Die Verfasser des Buches "Rethinking Christian Missions" z.B. zeigen deutlich, dass die moderne Theologie der Immanenz nur bis zu der Idee des Teilens kommen kann. Da das Ausrufen einer Botschaft von menschlichen Möglichkeiten gänzlich unsinnig ist, wird das Kerygma durch das spirituelle Teilhaben ersetzt.

 

Aber selbst im Pietismus behält das Kerygma seinen rechtmäßigen Platz nicht. Es wird an eine deutliche religiöse Erfahrung gebunden.

 

In vielen Fällen hat diese Erläuterung, diese notwendige Erfahrung, so große Bedeutung gewonnen, dass sie an die Stelle der Botschaft getreten ist.

 

Nun werden wir einen zweiten Begriff aus dem Neuen Testament behandeln. Das Substantiv "Evangelium" bedeutet einfach "gute Nachricht", nichts anderes; und jemandem "das Evangelium bringen", bedeutet "gute Nachrichten bekannt machen". Das ist alles. Im täglichen Leben der Griechen war es Brauch, frohe Ereignisse wie eine Eheschließung oder die Geburt eines Kindes mitzuteilen. So wird das Wort auch im Alten Testament (z.B. 1 Sam 31,9 oder Jes 40,9) verwendet. Der ursprüngliche christliche Gebrauch des Wortes jedoch stammte wahrscheinlich aus Lukas 4, wo Christus in der Synagoge zu Nazareth spricht. Sein Text ist Jesaja entnommen. Der Grieche liest bei Lukas folgendermaßen: "Er hat mich gesalbt, damit ich den Armen das Evangelium bringe, den Gefangenen Befreiung verkünde, das gute Jahr des Herrn ausrufe". Der ursprüngliche Text in Jesaja ist messianisch; er stellt die Ankündigung eines neuen Zeitalters dar, das Königreich Gottes, der Herrschaft des Messias. Diesen Text gebraucht Jesus in der Synagoge zu Nazareth genau in diesem Sinn, und die Verfasser des Neuen Testaments folgen diesem Gebrauch. Ausrufen, das Kerygma ansagen, bedeutet: den Leuten das Evangelium bringen. Ob sie das Kerygma annehmen oder zurückweisen, auf jeden Fall ist die Verkündigung des Evangeliums wirklich geschehen.

 

Nach dem Neuen Testament bringt der Ausrufer dann, wenn er die Straße zum Basar hinuntergeht, seine Trommel schlägt und seine Botschaft von der Obrigkeit ausruft, den Leuten das Evangelium. Die Torheit, das Evangelium zu verkünden, liegt nicht in der Methode, denn jedes neue Herrschaftsgeschlecht, jede neue Regierung ist immer durch öffentliche Bekanntmachung angesagt worden. Jeder neue König wird beim Tode seines Vaters zum König ausgerufen. Das ist durchaus nicht töricht. Die Torheit liegt in der Erwartung, dass die Kirche diese Erklärung vom König aller Könige bekannt zu geben hat und dass diese wirksam wird allein durch die Bekanntgabe. Das ist der Stein des Anstoßes für uns alle - jetzt oder zu jeder anderen Zeit. Kann ein Bote der Kirche in ehrlicher Überzeugung sagen, dass er noch nie diese Hoffnungslosigkeit gefühlt hat, wenn er im Bazar vor Muslimen aufgestanden ist, um die Frohbotschaft zu verkündigen? Wahrscheinlich nicht. Unser Glaube vergisst über unseren Erfahrungen, dass der Erfolg des Verkündens vom Wirken des Heiligen Geistes vollständig abhängt.